"Medienkompetenz stärken"

Interview mit Heike Rost, Mitglied im Presserat

Rüde verbale und handgreifliche Attacken gegen Journalisten sowie die Verunglimpfung als „Lügenpresse“ auf der einen Seite sowie die Zunahme der Beschwerden vor dem Presserat auf der anderen Seite - die Medien-Branche gerät mehr und mehr unter Generalverdacht. Eine Diskussion über ethische Grundsätze und eine Reflexion, in die sich der DJV Rheinland-Pfalz mit diesem Interview zu Wort meldet. Gesprächspartnerin ist Heike Rost aus Mainz, seit 2002 eines von bundesweit sieben DJV-Mitgliedern im Deutschen Presserat. Dieses Gremium – besetzt mit Vertretern der Verlage und der Journalisten - wacht seit seiner Gründung vor bald 60 Jahren über die Einhaltung der publizistischen Grundsätze.

2.350 Beschwerden im vorigen Jahr: So viele wie noch nie, bilanziert der Presserat. Sind die Mediennutzer aufmerksamer als früher oder sind sie kritischer geworden?

Heike Rost: Sicherlich spielt das stetig wachsende Informationsangebot im Digitalzeitalter dabei eine wichtige Rolle: Zahlreiche Informationsquellen, unterschiedlichste Darstellungsformen und Formate, eine Vielzahl von Angeboten von Print bis Internet und Nachrichten-Apps. Kritischer sind Mediennutzer allemal geworden, das ist grundsätzlich gut so. Ob die Kritik aber auch kompetenter, angemessener ist? Ich bezweifele das ehrlich gesagt. Mein Eindruck ist eher, dass die Kritik zunehmend unkonstruktiver, persönlicher, aggressiver, oft diffamierend wird. Ich denke dabei an Formulierungen wie „Lügenpresse“, Mutmaßungen über „gleichgeschaltete Medien“ oder „Systempresse“. Ebenso wie an die steigende Zahl von Hass-Mails an Journalisten, an konkrete Bedrohungen wie die fingierten Todesanzeigen Anfang 2015 an eine Reihe Kollegen in Nordrhein-Westfalen.
Zwischen Quotendruck und Generieren von Aufmerksamkeit, zwischen Erwartungshaltung von Mediennutzern nach schnellstmöglicher Information einerseits und dem, was andererseits in Redaktionen leistbar und machbar ist, können Fehler passieren. Journalisten sind Menschen, keine Übermenschen – und berechtigte Kritik (darunter Beschwerden beim Presserat) trägt dazu bei, Berichterstattung und Journalismus zu verbessern. Darüber hinaus habe ich manchmal den Eindruck, dass die „Schmerzgrenze“ von Lesern hinsichtlich journalistischer Berichterstattung permanent sinkt. Schon die Medientheoretiker des letzten Jahrhunderts schrieben vom beängstigenden Potenzial des globalen Dorfs. Die Reaktion auf manche Bilder – die Toten im LKW oder Alan Kurdi – lässt für mich einen solchen Rückschluss auf diffuse Ängste und Verunsicherung von Lesern durchaus zu. Einerseits wird dann von Mediennutzern vieles unberechtigt angezweifelt oder als Grenzüberschreitung empfunden und kritisiert, andererseits aber manches – wie die Seriosität von Informationsquellen – viel zu wenig hinterfragt. „Wahrheit braucht Zeit“, sagte Dunja Hayali in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung der Goldenen Kamera. Ich würde das gern dahingehend ergänzen, dass nicht nur „Wahrheit Zeit braucht“ (hinsichtlich Recherche, Einordnung und Bewertung), sondern auch Medienkompetenz immens an Bedeutung gewonnen hat. Ein Gremium wie der Deutsche Presserat kann dazu einen wichtigen Diskussionsbeitrag leisten.

Hat der Presserat auch Wächter- und Mahnerfunktion in Teilen des social web?

Heike Rost: Der Presserat ist für die Zeitschriften, Zeitungen und auch die Online-Medien der Verlagshäuser zuständig, die sich mit einer entsprechende Selbstverpflichtungserklärung zur Achtung des Pressekodex in ihrer Berichterstattung bekennen. Der Pressekodex wurde 2015 hinsichtlich dieser Online-Zuständigkeit überarbeitet und aktualisiert.

In der aktuellen medienethischen Diskussion wird immer wieder die Richtlinie 12.1 des Pressekodex genannt und hinterfragt. Was verbirgt sich dahinter?

Heike Rost: Die Ziffer 12 des Pressekodex besagt ganz allgemein: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Die dazugehörige Richtlinie 12.1 präzisiert die Ziffer 12 bei der Berichterstattung über Straftaten – dahingehend, dass ethnische, religiöse, soziale oder nationale Zugehörigkeit genannt werden darf, wenn das für das Verständnis eines Sachzusammenhangs oder eines Tathintergrunds notwendig ist.
Gerade hinsichtlich der Berichterstattung über die Ereignisse in Köln an Silvester gab es dazu eine breite Diskussion – einerseits mit dem Vorwurf des Generalverdachts, den Medien mit ihrer Berichterstattung (und der Nennung der Nationalität) aussprechend würden, andererseits aber mit dem Vorwurf eines „Schweigekartells“ der Medien.
Im Klartext: Straftaten wie beispielsweise ein Autoaufbruch oder Diebstahl sind nicht spezifisch einer Nationalität zuzuordnen, die Nennung deswegen zum Verständnis des Autoaufbruchs überflüssig. Anders, wenn es sich um eine Bandenstruktur oder ein bestimmtes kriminelles Muster handelt, das wie beispielsweise die „Nigeria-Connection“ einem bestimmten Land zuzuordnen ist. Die Nennung ist in solchen Fällen notwendig, weil ein Zusammenhang zwischen Tat und Herkunft besteht (im Sinne des Richtlinie 12.1 des Pressekodex).

Bist Du für die Beibehaltung der Richtlinie 12.1? Warum?

Heike Rost: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Zunächst: Ziffer 12 und die dazugehörige Richtlinie 12.1. sind weder ein „Sprachverbot“ noch ein „selbst auferlegter Maulkorb“ der Presse. Wer das behauptet, hat nicht verstanden, dass der Pressekodex Denkanstoß und Aufforderung zur Sorgfalt in der Berichterstattung ist. Und ebenso wenig wie der komplette Pressekodex sind die diskutierte Ziffer 12 und die Richtlinie 12.1 eine Pauschalregelung: Jeder einzelne Fall ist abzuwägen und zu entscheiden.
Dafür gibt es keine allgemeingültige Regel. Allerdings sehr wohl eine grundsätzliche Haltung. Auch die, dass Journalismus Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus nicht fördern darf. Das braucht neben einer ethischen Haltung entsprechend sachliche Darstellung, fundierte Recherche und präzise, differenzierende Formulierungen – alles Grundlagen journalistischen Handwerks. Der Pressekodex gehört zu diesem Handwerkszeug. Und mitnichten stellt er „mittlerweile eine Gefahr für die innere Sicherheit“, wie ich das kürzlich als „Argument“ in einer Diskussion zu hören bekam.
Darüber hinaus ist der Pressekodex immer im Kontext von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu sehen: Er ist kein statisches, gewissermaßen „in Stein gemeißeltes“ Werk, sondern eine wichtige Ratgeber für journalistischer Arbeit, der sich weiter entwickelt, immer wieder neu diskutiert, bewertet und überarbeitet wird.

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, sagte Ingeborg Bachmann. Inwieweit gilt dies auch für die Bildsprache in den Medien?

Heike Rost: Dazu der Verweis auf die aktuellen Entscheidungen des Presserats zu zwei der wohl meist diskutierten Nachrichtenbilder: Eins davon das furchtbare Bild der toten Flüchtlinge im LKW. Der Presserat hat die Beschwerde gegen dieses Bild als unbegründet zurückgewiesen, weil es sich um die Berichterstattung über eine schwere Straftat handelte, an der ein berechtigtes öffentliches Interesse bestand. Zwar hielt der beratende Beschwerdeausschuss das Foto für furchtbar, die Veröffentlichung jedoch für zulässig. Realität darf gezeigt werden, allemal, wenn Opfer durch eine Veröffentlichung nicht erneut zu Opfern werden, sondern die Berichterstattung wie in diesem Fall auf die Gefahren hinweist, denen Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa ausgesetzt sind.
Ähnlich das Foto des ertrunkenen Flüchtlingskinds Alan Kurdi. Auch hier hat das Gremium die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Mit vergleichbarer Argumentation – und dem Hinweis auf die hohe Symbolkraft des Bildes, das weltweit Emotionen und Diskussionen über die Flüchtlingskrise ausgelöst hat. Nicht in entwürdigender, identifizierender Form, sondern als furchtbares, berührendes Dokument der Zeitgeschichte.
Solche Bilder zu zeigen, gehört zu den mitunter schwierigen Aufgaben von Journalismus. In einer sorgfältigen Abwägung, mit tragfähigen Argumenten und der Erkenntnis: Es gibt keine Allgemeingültigkeit, sondern nur Einzelfallentscheidungen. Und auch keine Garantie für „richtig“ oder „falsch“. 

 

(Die Fragen stellte Andrea Wohlfart)

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